„Wie kann man nur so unmenschlich sein?“
Nicht alle Menschen trifft Hass im Internet gleichermaßen. Besonders betroffen sind auch Personen mit sichtbarem Migrationshintergrund, wie jüngst eine im Rahmen des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz durchgeführte repräsentative Studie ergab. Das trifft auch auf Kazim Abaci zu. Der Hamburger SPD-Bürgerschaftsabgeordnete hatte im Januar in Hamburg die bundesweit erste große Demonstration gegen Rechtsextremismus angemeldet.
Herr Abaci, wie kam es, dass Sie nach der Großdemonstration in Hamburg plötzlich derart angefeindet wurden?
Organisiert hatte ich die Kundgebung gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der Evangelischen Kirche, aber angemeldet hatte ich sie als Geschäftsführer von „Unternehmer ohne Grenzen“. Außerdem habe ich die Veranstaltung auch moderiert und war Ansprechpartner für die Presse. Dadurch wurde ich gewissermaßen zum Gesicht der Demo.
Und anschließend haben Sie Fotos der Kundgebung auf Facebook gepostet.
Danach hieß es gleich, die Bilder seien gefälscht, es seien gar nicht so viele Menschen dort gewesen. Dabei waren es viel mehr als die zunächst von der Polizei geschätzten 50.000. Auch viele Teilnehmer waren sich sicher, dass deutlich mehr Menschen zusammengekommen waren. Auf meine Bitte hin hat die Innenbehörde eine neue Abschätzung vorgenommen und hat sich – was nicht oft vorkommt – korrigiert. Demnach hatte die Demonstration 180.000 Teilnehmer.
Also fast vier Mal so viel! Womöglich war es auch der große Erfolg der Kundgebung, der zu den Hassmails führte.
Es ging los damit, kurz nachdem ich die Fotos auf meiner Facebook-Seite online gestellt hatte. Ich habe daraufhin Mails in mein Abgeordneten-Postfach bekommen, viel mehr aber bei Facebook selbst. Eine Mail lautete: „Arabische Schweine reden über Demokratie. Ziehen sie dorthin, wo sie hingehören. Es lebe die AfD.“ Oder auch „Du bist ein Schwein und Erdogan-Fan.“
Das war aber nicht alles.
Noch schlimmer war, dass sich jemand über den Tod meiner Nichte lustig machte und mich gleichzeitig bedrohte. In der Mail hieß es: „Schöne Sache mit Gülhan hahahahaha Denk dran deine Strafe …“. Meine Nichte ist vor ein paar Jahren durch einen Verkehrsunfall mit einem betrunkenen Autofahrer ums Leben gekommen.
Das war offenbar nicht einfach so dahingeschrieben, der Absender muss von Ihrem Verlust gewusst haben.
Es gab damals eine Berichterstattung in der Presse über den Unfalltod meiner Nichte. Das hat ganz offensichtlich jemand zielgerichtet recherchiert. Es war ein bewusster Post, um mich zu attackieren und zu bedrohen.
Was hat das mit Ihnen gemacht?
Ich habe wirklich kein Problem mit harter politischer Auseinandersetzung, auch nicht mit vielen der unsachlichen Kommentare. Aber mich als Schwein titulieren zu lassen, das geht zu weit. Vor allem aber hat der Kommentar mit meiner Nichte Spuren hinterlassen. Ich musste viel darüber nachdenken. Wie kann man nur so unmenschlich sein? Sich über den Tod einer jungen Frau lustig zu machen, das überschreitet jede Grenze.
Haben Sie ähnliches auch zuvor schon erlebt?
Im Zuge des Bürgerschaftswahlkampfs 2020 in Hamburg hatte ich türkischstämmige Deutsche dazu aufgerufen, ihr Wahlrecht wahrzunehmen. Daraufhin habe ich zahlreiche Anfeindungen über Mail und soziale Medien bekommen. Ich hatte damals Anzeige erstattet. Die Polizei sagte, sie habe zumindest einen Absender aus Mecklenburg-Vorpommern ausfindig gemacht. Was daraus geworden ist, weiß ich allerdings nicht. Auch jetzt habe ich Anzeige erstattet. Die Ermittlungsbehörde muss nun entscheiden, was von den Posts ein Straftatbestand ist.
Was denken Sie, ist das Motiv der Menschen, sie persönlich zu beleidigen?
Ich glaube, dass es ganz unterschiedliche sind. Wer „arabisches Schwein“ schreibt, der hat offenbar schon ein gefestigtes Weltbild. Und ein intellektuelles Defizit, sonst wüsste er, das türkisch-kurdischstämmige Personen wie ich keine Araber sind. Einige schrieben, dass ich Erdogan-Anhänger sei und er mir sicher einen Orden verleihen würde. Das Gegenteil ist richtig. Ich bin Sozialdemokrat, und in der Türkei ist die Sozialdemokratie bekanntlich in der Opposition.
Mails schreiben ist das eine. Sind sie auch schon direkt körperlich attackiert worden?
Vor ein paar Jahren kam ich aus der Bürgerschaft und war auf dem Weg zur Bushaltestelle. Plötzlich kam jemand sehr schnell auf mich zu, schlug mir mit einer Faust ins Gesicht und verschwand. Ich habe im Nachhinein bereut, dass ich das nicht angezeigt habe. Ich weiß auch bis heute nicht, ob es einen konkreten Anlass gab. Ob derjenige vielleicht eine Debatte in der Bürgerschaft verfolgt hatte, bei der ich geredet hatte.
Haben Sie auch Zustimmung bekommen für die Organisation der Demo?
Sogar zahlreiche, das war erfreulich. Es haben sich Menschen bedankt für die Organisation. Oder geschrieben, dass sie zuvor nie auf einer Kundgebung waren, und dass diese sie sehr beeindruckt hatte. Sie hätten das gute Gefühl gehabt, dass sie nicht allein sind. Das hat mir gutgetan. Besonders berührt hat mich ein älterer Herr, der schrieb, er habe noch nie SPD gewählt, er sei CDU-Anhänger, aber er sei beeindruckt gewesen, und er endete mit dem Satz: Bitte machen Sie weiter.
Was vermutlich auch daran lag, dass sich die Demonstration nicht gegen rechts, sondern gegen Rechtsextremismus richtete?
Ja, es hieß „Hamburg steht auf gegen Rechtsextremismus und Neonazismus“. Wir haben Wert daraufgelegt, die Mitte der Gesellschaft zu mobilisieren, von links bis konservativ. Auch der Unternehmensverband Nord war dabei, ebenso Verbände aus Wissenschaft und Sport, Sozialverbände und die Parteien.
Und trotzdem der Hass?
Mich hat die Frage sehr beschäftigt, was ich ausgelöst habe mit der Kundgebung, dass man mich so attackiert. Es geht doch um unsere Demokratie, den Respekt untereinander, den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Wenn man dann persönlich derart beleidigend attackiert wird, was heißt das dann? Diejenigen haben dann zumindest Probleme mit unserer Demokratie. Sie wollen offenbar nicht in einer demokratischen Gesellschaft leben, sind womöglich für eine Autokratie oder gar eine Diktatur. Ich kann das nicht nachvollziehen.
Die repräsentative Studie des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz finden Sie hier.
Kazim Abaci (58) ist Sozialökonom, Gründer und Geschäftsführer von „Unternehmer ohne Grenzen“; als Hamburger SPD-Bürgerschaftsabgeordneter ist er in den Ausschüssen für Soziales, Arbeit und Integration, Inneres, Kultur und Medien tätig.
Zum Thema: In der Nacht zum 19. Februar haben Unbekannte einen Brandanschlag auf das Wohnhaus des Thüringer SPD-Politikers Michael Müller in Waltershausen im Landkreis Gotha verübt. Die Hintergründe sind bislang ungeklärt, das Thüringer Innenministerium geht jedoch von einem politisch motivieren Anschlag aus. Müller hatte zuvor eine Demonstration gegen Rechtsextremismus mitinitiiert. Die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken sprach von einem "feigen Anschlag" und machte auch die aufgeheizte Stimmung im Land und im Internet mitverantwortlich. "Wer im Netz oder auf der Straße Hass und Hetze verbreitet, der muss wissen: Aus Worten folgen Taten!"