Ihre Website mit den zahlreichen Hilfestellungen ist öffentlich zugänglich. Welche Vorteile hat darüber hinaus eine Mitgliedschaft?
Anne Herr: Man bekommt Newsletter und hat Zugriff auf eine interne Plattform, die der Zusammenarbeit dient. Dort können Unterlagen und Konzepte eingestellt und anderen zugänglich gemacht werden. Ein Beispiel ist das Musterschreiben „Blaue Briefe“ der Stadt Wuppertal. Dort kam man auf die Idee, Bürgerinnen und Bürger, die beim Besuch im Sozialamt auffällig geworden sind oder womöglich sogar rumgepöbelt haben, individuell anzuschreiben. Ihnen aufzuzeigen, dass sie sich falsch verhalten haben. Ihnen aber auch ein Gesprächsangebot zu machen und nicht gleich ein Hausverbot zu erteilen. Das hat in vielen Fällen dafür gesorgt, dass sich die Betreffenden am nächsten Tag entschuldigt haben und solche Situationen einmalig blieben. Für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist das ein Erfolgserlebnis. Zu den „Blauen Briefen“ gibt es inzwischen zahlreiche Anfragen von anderen Mitgliedern, die das auch einsetzen wollen.
Viele der von Anfeindungen und Gewalt Betroffenen gehen – wie Befragungen zeigen – davon aus, dass es kaum etwas bringt, wenn sie Vorfälle melden. Kann Ihre Kampagne daran etwas ändern?
Anne Herr: Wir nehmen deutlich wahr, dass man sich des Themas auf allen Ebenen viel stärker annimmt. Es sind ja oft Kleinigkeiten, die dazu führen, ob jemand einen Vorfall meldet oder nicht: Wie gehen meine Vorgesetzten damit um, was macht die Rechtsprechung? Führt meine Meldung womöglich zu einer noch stärkeren Bedrohung, weil meine Privatanschrift im Ermittlungsverfahren auftaucht? In dem Fall ist es beispielsweise gut zu wissen, dass bei der Meldung eines Vorfalls als Anschrift auch die Dienstadresse hinterlegt werden kann. Das erhöht das persönliche Schutzgefühl. In dem Punkt bekommen wir Rückmeldung aus dem Netzwerk, dass sich das Meldeverhalten konkret verändert.
Andre Niewöhner: Wir möchten auch darauf hinwirken, dass Betroffene, die jemanden anzeigen, von der Justiz eine Sachstandsmitteilung erhalten, ob überhaupt ein Verfahren eröffnet wird. Bislang erfährt ein Betroffener nichts davon. Das ist unbefriedigend, weil viele dann davon ausgehen, die Sache sei womöglich im Sande verlaufen.
Über das Netzwerk erfährt man auch von „Best-Practice“-Beispielen: Manche erscheinen selbstverständlich, sind es aber offenbar nicht. Etwa bei der Frage, ob zwei Mitarbeiter in einem Auto auch zwei Autoschlüssel dabei haben sollten.
Anne Herr: Bisher gab es bei vielen Mitarbeitenden im Außendienst die Haltung, der zweite Schlüssel bleibt in der Dienststelle, dann kann er nicht verloren gehen. Für die Sicherheit ist es aber wichtig, dass beide Mitarbeiter unabhängig voneinander eine Rückzugsmöglichkeit haben und gegebenenfalls über Funk im Auto Hilfe holen können. Das sind hilfreiche Handlungsempfehlungen, die wir über unser Netzwerk verbreiten können.
Andre Niewöhner: Inzwischen haben mehrere kommunale Ordnungsdienste diese Regelung übernommen. Klar, da fragt man sich, warum machen die das nicht schon immer so? Aber es gibt meist geregelte Abläufe, bei denen es um Arbeitsschutz, Brandschutz oder Gesundheitsschutz geht – aber der Schutz vor Gewalt spielte keine prominente Rolle. Über unser Netzwerk verbreiten sich solche niederschwelligen Ideen inzwischen sehr gut.