Rund 87 Prozent der Deutschen sind in den sozialen Netzwerken unterwegs, unmöglich, dass allen die Verbreitung von Hass und Falschinformationen egal ist. Hinsichtlich solcher Zahlen ist es meiner Meinung nach entweder naiv oder aber ignorant, wenn in Feuilletons behauptet wird, Social Media lägen in den letzten Zügen. Statt Abgesänge auf Twitter zu singen, sollten wir die Chance nutzen und uns fragen: Was können wir aus Elon Musks Twitter-Übernahme lernen? Wie schaffen wir es in Europa, Kontrolle über die sozialen Medien zu erlangen, damit sie nicht länger in den Händen weniger Weltkonzerne und deren Besitzer liegt?
Als Gesellschaft müssen wir lernen, Menschen, die von Hass betroffen sind, zur Seite zu stehen. Hater/innen müssen spüren, dass ihre Taktiken nicht mehr funktionieren. Als Zivilgesellschaft sind wir in der Überzahl und könnten viel mehr Lärm verursachen als die Brandstifter/innen.
Ich wage ein Gedankenexperiment: Was wäre, wenn man die Zahl der Engagierten im Ehrenamt in Deutschland, also achtunddreißig Millionen Menschen, in »Follower/innen« rechnen würde – Follower/innen eines gerechteren und fairen Internets ohne Hass und digitale Gewalt? Mein Gott, wie laut wäre dieser Chor aus Engagierten! Mit dieser Lautstärke könnten wir so leicht die Hater/innen übertönen, die sich ja nur so viel Gehör verschaffen können, weil wir als Zivilgesellschaft noch viel zu leise sind.
Der Einstieg für jede und jeden ist denkbar einfach – es bedarf nur eines Accounts auf einer Social-Media-Plattform und eines beherzten Einschreitens, wenn digitale Randalierer/innen ihren Schmutz über Frauen, Politiker/innen, Andersgläubige, Migrant/innen oder für unsere Demokratie engagierte Menschen ausschütten.
Und natürlich die richtigen politischen und juristischen Rahmenbedingungen: Damit Menschen angstfrei im Netz laut werden können, müssen – wie hier beschrieben – Plattformen ihrer Verantwortung nachkommen und Bedrohungen, Beleidigungen und Falschinformationen konsequenter löschen.
Und auch die Politik ist gefragt. Sie hat mit Gesetzen wie dem zur Hasskriminalität und dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz auf Hass und Hetze im Netz für Leib und Leben reagiert. Es gilt nun, diese auch umzusetzen. Wichtig wäre, schneller als bisher dafür zu sorgen, dass Polizei und Justiz besser für den Umgang mit digitaler Gewalt ausgerüstet sind. Diejenigen, die haten, sollen sich erklären müssen, nicht Betroffene. Die konsequente Eindämmung von digitaler Gewalt, die strafrechtliche Verfolgung von Täter/innen ist keine Zensur, sondern gesellschaftliche Verantwortung.
Mein Buch ist ein Aufruf an die Zivilgesellschaft. Sie darf sich nicht zum Schweigen bringen lassen von den wenigen brutalen Hetzer/innen, den Demokratiefeindinnen und -feinden im Netz und auf der Straße. Wir brauchen demokratische Stimmen, die sich einmischen, die Stellung beziehen und sich im Angesicht von digitaler Gewalt mit Opfern solidarisieren.