Porträt

Die gute alte Sachlichkeit

Die Forster Bürgermeisterin Simone Taubenek ist Volljuristin und war lange im höheren Polizeidienst tätig. Was rät sie Kolleginnen und Kollegen in der Kommunalpolitik, die unter Druck geraten?  

Die Bürgermeisterin von Forst (Lausitz): Simone Taubenek

Was lernt man im Polizeidienst für die Verwaltung? Simone Taubenek ist Volljuristin und Ex-Polizeidirektorin.

Simone Taubenek hat sich in ihrem Leben nie vor neuen Herausforderungen gescheut. Zum Beispiel in den späten 1980er Jahren, als sie nach einem Jura-Studium an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin die Richterlaufbahn anstrebte – und plötzlich in Hannover weiterstudieren musste. Oder als sie später in den Polizeidienst wechselte. Oder nun als Seiteneinsteigerin in der Kommunalpolitik der Lausitz. Zugute kommt ihr, dass sie immer ruhig und objektiv an die Dinge herangeht – sich nicht von der Leidenschaft eines Moments mitreißen lässt. Das hilft ihr auch als Bürgermeisterin: „Es geht mir immer um die Sachentscheidung“, sagt Taubenek. „Und vielleicht ist das auch der Grund, warum ich bislang relativ wenig Angriffsfläche biete.“

Seit Mai 2018 ist Taubenek Bürgermeisterin von Forst, einer Stadt mit 18.200 Einwohnerinnen und Einwohnern. Nicht einmal jedes zehnte Rathaus in Deutschland wird von einer Frau geleitet. Nachdem ihr Vorgänger plötzlich erkrankte und durch einen Abwahlantrag das Amt verlor, dachte sich Taubenek über die neuen Kandidaten: „Da ist wieder keiner dabei, der Verwaltungserfahrung hat. Die habe ich zumindest.“ Obwohl Taubenek bis dato mit Politik nichts zu tun hatte, ließ sie sich zur Wahl aufstellen. Sie wollte etwas für ihre Stadt tun. Und nach 23 Jahren bei der Polizei, zuletzt als Leiterin des Stabes der Polizeidirektion Süd in Cottbus, war der richtige Zeitpunkt für etwas Neues gekommen.

Einst war Forst eine reiche Stadt, die von der Textilindustrie profitierte. Dann kamen der Krieg, die deutsche Teilung, die Wende und die Wirtschaftskrise. Mit einer Verschuldung von 40 Millionen Euro gilt Forst heute als finanzschwache Kommune. Die AfD erhielt bei den Wahlen zu Kreistag und Stadtverordnetenversammlung rund 30 Prozent der Stimmen und ließ die anderen Parteien hinter sich.

Angriff auf alte Autoritäten

Die Übergriffe auf Kommunalpolitiker/innen haben sich von 2018 bis 2019 laut dem Städte- und Gemeindebund Brandenburg fast verdoppelt. „Wir haben es mit einer Veränderung der politischen Kultur in Deutschland zu tun“, meint Taubenek, die selbst noch keine negativen Erfahrungen gemacht hat. Politikerinnen und Politikern und anderen althergebrachten Autoritäten werde heute weniger Respekt entgegengebracht. „Den Leuten geht es zu gut, und dann glauben sie, alles besser zu wissen“, sagt sie halb ernst, halb scherzhaft, wird dann aber schnell wieder sachlich: Emotionen haben für sie in der Politik keinen Platz. „Logischerweise gibt es immer wieder Menschen, die mit meiner Arbeit unzufrieden sind. Die sich teilweise auch an Themen hochziehen, die für mich Kleinigkeiten sind.“ In solchen Situationen, sagt sie, versuche sie, eine Problemlösung aufzeigen.

Das ist nicht immer einfach, gerade in Corona-Zeiten: Als im Sommer 2020 das örtliche Freibad für eine begrenzte Anzahl von Personen wieder geöffnet wurde, forderte ein AfD-Vertreter in einem Ausschuss, dass nur deutsche Bürger Zugang erhalten. Taubenek ist auch Monate später noch empört über den Vorstoß. Anmerken lässt sie sich das in so einer Situationen aber nicht. „Das habe ich jetzt nicht gehört“, sagte sie damals nur, „natürlich haben alle Zugang.“ Und sprach dann wieder über Details der Verordnung. Das Rezept: „Ich lasse mich nicht provozieren und biete so auch keine Angriffsfläche.“ Auch als sie von wütenden Bürgerinnen und Bürgern, die den Bau einer innerstädtischen Neiße-Brücke nach Polen ablehnen, mit einem Abwahlverfahren bedroht wurde, blieb sie ruhig: „Ich hab mich nicht persönlich angegriffen gefühlt. Das ist ja ein juristisch sauberer Prozess. Das können sie gern versuchen.“

Vielleicht ist das die Erfahrung bei der Polizei, bei der man oft außergewöhnliche Situationen erlebt und lernt, eine gewisse Distanz zu Dingen wie Gewalt und Kriminalität einzunehmen. Aber Taubenek weiß auch, dass es nichts Wichtigeres gibt als ein Gefühl der Sicherheit. Alle Mitarbeiter/innen im Rathaus haben deshalb einen Knopf am Arbeitsplatz, mit dem sie signalisieren können, dass sie von einem Besucher bedroht werden oder Hilfe brauchen. Eingesetzt werden musste das stille Alarmsystem bislang noch nicht. „Aber zu wissen, dass es den Knopf gibt, ist für viele Kolleginnen und Kollegen ein gutes Gefühl“, sagt Taubenek, weil ihre Sorgen und Ängste ernst genommen werden und sie wissen: Sie sind nicht allein.   

Das alles erzählt die Bürgermeisterin mit den kurzen blonden Haaren ganz ruhig, als würde sie über Feinheiten des Stadthaushalts referieren und nicht über eine Krise. Was sie Kolleginnen und Kollegen rate, die bedroht oder angegriffen werden? „Es gilt zu differenzieren, ob jemand einfach nur seinen Frust ablassen möchte oder ob man wirklich bedroht oder angegriffen wird“, sagt Taubenek. „Man muss sich erlauben zu sagen: Das geht mir jetzt zu weit.“ Kommunalpolitiker/innen müssten das Gefühl haben, ernst genommen zu werden. Am besten wäre es daher, wenn es bei der Polizei eine direkte Ansprechperson gäbe, zu der ein Vertrauensverhältnis bestünde und die zeitnah vor Ort sein könnte. Aber natürlich weiß Taubenek aus eigener Erfahrung, dass dies schwer zu leisten ist.

Vorbild Schimanski

Lange wollte sie Richterin werden, studierte 1986 bis 1990 Jura an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin. Nach dem Referendariat in Niedersachsen und dem Zweiten Staatsexamen in Hannover tat sich ein völlig anderer Weg auf: Das Land Brandenburg suchte Volljuristen als Seiteneinsteiger für den Polizeidienst. Das passte eigentlich ganz gut. „Zu DDR-Zeiten habe ich immer ‚Tatort‘ geguckt. So wie Schimanski zu werden, das fand ich cool.“ Bereits bei der Polizei war Simone Taubenek die einzige Frau in einer Führungsposition. „Ich bin charakterlich so aufgestellt, dass mir das schlichtweg nichts mehr ausmacht, dass man als Frau mehr leisten muss oder anders angesehen wird“, sagt sie. Von den Kolleginnen und Kollegen im Rathaus wurde sie „super empfangen“. Frauen und Männer seien für die Funktion gleich gut geeignet, nur dass sich Frauen oft zu wenig zutrauen würden. Simone Taubenek beschreibt sich selbst als „Arbeitstier“: „Zu Hause zu sein oder irgendwie Befehlsempfängerin zu sein, das passt zu meinem Charakter nicht so gut, ich sag’s mal ganz ehrlich.“

Permanenter Strukturwandel

Einst galt Forst in der Lausitz als „Manchester des Ostens“. Aber das ist lange her. Seitdem das Kohleausstiegs- und das Strukturstärkungsgesetz von der Bundesregierung beschlossen wurden, steht Taubenek vor weiteren Herausforderungen. In Südost-Brandenburg gibt es zwei Braunkohlekraftwerke, in denen zahlreiche Menschen aus der Region arbeiten, viele weitere Industrien sind indirekt betroffen. Wie nun Strukturen schaffen und zukünftig für Arbeitsplätze sorgen? Eine 50 Hektar große Industriefläche, auf der sich Unternehmen ansiedeln können, scheint eine Lösung zu sein. Zusätzlich sind für die Sanierung des bekannten Textilmuseums 7,4 Millionen Euro vom Bund eingeplant. Doch mit großen Veränderungen gehen häufig auch Ängste und Skepsis einher. Wichtig sei der offene Umgang mit den Medien, um die Bürger/innen zu informieren, meint Taubenek. Und: „Sich auch mal Fehler einzugestehen und sich dafür zu entschuldigen.“ Zum Beispiel, wenn Projekte abgelehnt oder nicht durchgezogen werden, weil sie doch zu teuer sind. Dazu sollte man stehen. Aber sie warnt auch vor einer Inflation von Standpunkten. „Zu bestimmten Dingen, die die Politik der Stadt nicht betreffen, äußere ich mich schlichtweg nicht. Wieso auch?“

Simone Taubenek versucht lieber, die Bürger/innen abzuholen und Erfolge aufzuzeigen. „Tatsächlich siedeln sich bereits erste Industriebetriebe in der Region an“, sagt sie. Taubenek bleibt positiv und hat noch viel vor. „Wenn ich gesund bleibe, werde ich mich nach der achtjährigen Amtszeit wieder aufstellen lassen. Ich mach das unheimlich gern.“

Text: Sandra Langmann

Hintergrund

Forst (Lausitz), Kreisstadt des Landkreises Spree-Neiße, ist eine 18.000-Einwohner-Stadt im Südosten von Brandenburg, direkt an der deutsch-polnischen Grenze. Die Stadt wurde Mitte des 13. Jahrhunderts gegründet. Im 19. Jahrhundert wurde sie zu einer Metropole der Textilindustrie und auch als „Manchester des Ostens“ bezeichnet. Bewahrt wird diese Tradition vom 1995 gegründeten Brandenburgischen Textilmuseum. Mehr Informationen: www.forst-lausitz.de